München,

Das Flüchtlingsthema und das THW in Bayern

Dr. Fritz-Helge Voß, Leiter des THW Bayern, zieht Bilanz.

"Der Auftrag war einfach: Rich­ten Sie zwei Warteräume ein. Normalerweise denke ich nun an Sitzgarnituren, gemütliche Beleuchtung, Zimmerpflanzen, Tischchen. Doch eigentlich war etwas anderes gemeint. Mitte September war die Lage im Südosten Bayerns entlang der österreichischen Grenze durchaus so, dass man sie ohne Übertreibung als „dramatisch" bezeichnen konnte. Die Flücht­lingszahlen erreichten die Mar­ke von über 10.000 Flüchtlingen pro Tag und die Aufnahme- so­wie Weiterleitungsorganisati­onen waren schlichtweg über­lastet.

Dies lag nicht an den bis dahin getätigten Anstrengungen in Bayern. Im Gegenteil: Im Au­gust 2014 waren in Oberbayern zum ersten Mal Überlastungs­erscheinungen aufgetreten. Auf Anregung der Hilfsorganisati­onen der "Arge Bevölkerungs­schutz" [Arbeitsgemeinschaft bestehend aus bayerischen Hilf- und Rettungsorganisationen; Anm. d. Red.] wurde ein Lenkungs­stab Asyl beim Arbeits- und Sozialministerium eingerichtet. Hier waren alle wesentlichen Akteure in Bayern versam­melt: Ministerien, Bezirksregierungen, Polizei, Hilfsorganisa­tionen, THW, Finanzbehörden, Gesundheitsbehörden, Kirchen, Städte- und Gemeindetag, zeit­weise BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und Bundespolizei und viele andere mehr. Ge­meinsam war es gelungen, sich den wachsenden Aufgaben zu stellen und leistungsfähige Aus­gleichsstrukturen zu schaffen. Die Regierungen untereinan­der hatten den sogenannten Bayernausgleich organisiert, mit welchem die Verteilung von Flüchtlingen unter den Re­gierungsbezirken koordiniert wurde. Das StMAS (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Inte­gration) bemühte sich im soge­nannten Deutschlandausgleich um freiwillige Unterstützung aus anderen Bundesländern. Und die Hilfsorganisationen und das THW deckten mit ih­ren ehrenamtlichen Kräften die Belastungsspitzen ab, indem kurzfristig Notunterkünfte her­gerichtet werden konnten und wurden.

Und doch waren all diese Anstrengungen für die große Zahl an Flüchtlingen zu wenig: Es fehlte an Unterbringungsstellen, an einer ver­bindlichen bundesweiten Ver­teilorganisation und an deren Koordinierung.

Hier entschloss sich das Bun­desinnenministerium, den Freistaat Bayern neben der un­ter anderem durch den THW Landesverband Bayern ohne­hin schon geleisteten Unter­stützung bei der Einrichtung von Notunterkünften noch zusätzlich zu unterstützten. Nach einigen Überlegungen und Erkundungen durch das THW vor Ort wurde die Idee zu den Warteräumen geboren. Die Grundidee war, Flüchtlinge die nicht sofort registriert, po­lizeilich gesichtet oder in eine Erst-/Notaufnahmeeinrichtung gebracht werden konnten, dort für die Dauer von bis zu drei Ta­gen unterzubringen, zu versor­gen und zu verpflegen. Die War­teräume sollten quasi als eine Art Puffer dienen.

Und so lang­sam wird nun die Qualität des Auftrages klar: Mit Raum waren nicht Zimmer gemeint. Für die Verpflegung reichte nicht eine Espressomaschine. Und für die Betreuung war mehr notwendig, als ein Abonnement beim Lesezirkel.

Eine besondere Qua­lität waren dann noch zwei De­tails: Die Wartezentren sollten für jeweils 5000 Flüchtlinge dimensioniert sein. Und sie sollten so schnell wie möglich, d.h. zumindest eine Einrichtung mit der Arbeit binnen drei Ta­gen beginnen. Zum Vergleich: für das ähnlich dimensionierte Bundesjugendlager [der THW Jugend] 2012 in Landshut hatte der LV Bayern eine Planungszeit von einem Jahr.

Also frisch ans Werk. Das Bun­desinnenministerium hatte die Unterstützung durch das Gene­ralsekretariat des DRK und der Bundeswehr mit dem Landes­kommando Bayern organisiert. Zusammen mit diesen Partnern erhielt der Landesverband Bay­ern nun den oben beschrie­benen Auftrag. Nach einer kurzen Abstimmung unter den Projektpartnern übernahm das THW die Federführung der Ope­ration, direkt geführt aus dem Bundesinnenministerium.

Unklar war zunächst der Ort, an dem die Wartezentren eingerichtet werden sollten. Zunächst war Schweinfurt in Betracht gezogen und die Ar­beiten mit großem Elan auch begonnen worden. Sie muss­ten aber leider wieder einge­stellt werden, da sie sich nicht mit den Planungen der Stadt für eine eigene Flüchtlingsein­richtung vertrugen. Bamberg wurde in Betracht gezogen und verworfen. Kleinere Räume entlang der Grenze wurden ge­sichtet und ebenso nicht weiter verfolgt, wie ein Übungsplatz der Bundeswehr in Traunstein. Die Wahl für die Standorte der Wartezentren fiel schließlich auf eine Fläche in der Gäubodenka­serne bei Straubing und auf die sogenannte Shelterschleife auf dem Fliegerhorst in Erding.

Damit war klar, wo der Aufbau beginnen konnte. An beiden Orten wurden binnen kürzester Zeit gemeinsame örtliche Pro­jektstäbe gebildet, in denen die Arbeiten von DRK, Bun­deswehr und THW koordiniert wurden. Jeder brachte das ein, was seinen Kernkompetenzen entsprach: Die technische Einrichtung wurde vom THW, unterstützt von Pionieren der Bundeswehr geleistet. Die Be­treuung und Versorgung wurde vom DRK übernommen, Liegen­schaften und helfende Hände stellte die Bundeswehr. Und so begannen die Arbeiten vor Ort. In München wurde koordiniert: Der THW-Landesverband ging wieder in die LuK-Struktur [LuK = Leitung und Koordination; gemeint ist die Steuerung des Einsatzes durch einen ständig besetzten Einsatzstab; Anm. d. Red.], das Landeskommando führte aus seinem Lagezentrum und das DRK richtete eine Koordinie­rungsstelle ein. Mit gemein­samen Lagebesprechungen wurden die jeweiligen Arbeiten der Projektstäbe vor Ort ge­steuert und jede Organisation führte in ihrem eigenen Strang. Diese so einfache Organisation war höchst effektiv und funktio­nierte gut. Jeder Partner war auf den gemeinsamen Erfolg aus­gerichtet und so klappte es im Innenverhältnis und zu den je­weils vorgesetzten Stellen sehr gut. Die Aufbauphase konnte nach einer sehr kurzen Orga­nisations- und Planungsphase von nur zwei Tagen begonnen werden und lief danach weitge­hend reibungslos.

Damit war der Rücken frei für die Lösung der noch anstehen­den Fragen: Mit dem StMAS wurde in einer Besprechung von einer Stunde am Samstag vor der Eröffnung (Tag zwei des Aufbaus) festgelegt, wie zunächst provisorisch das War­tezentrum Feldkirchen in die Verteilung von Flüchtlingen mit aufgenommen werden konnte. Mit dem BAMF konnte einige Tage später ein Rechtsträger ge­funden werden. Mit der neu ein­gerichteten Koordinierungsstel­le Flüchtlingsverteilung konnte eine Nachfolgeorganisation für das StMAS in der Flüchtlings­verteilung gefunden werden. Mit der Bundespolizei wurden Verfahren abgestimmt. Mit den Ministerien wurde regelmäßig über den Fortschritt der Arbei­ten gesprochen.

Danach waren es nur noch zwei große Einsatzstellen.

Mit Tausenden von Helfern, DRKlern, Soldaten, unzähli­gen Einsatzbesprechungen, Abstimmungen für Baukon­zepte, Fragen zum Verbleib von Flüchtlingen in den Einrich­tungen, Sicherheitskonzepten, Baufragen, Zuständigkeits­fragen von Bauaufsicht, Hy­gienebehörden, Brandschutz, überlappenden Zuständig­keiten von Bund und Ländern, politischen Gesprächen, Aus­räumen von Konflikten, Orga­nisation von Helferinnen und Helfern, Ablösungen, Verstär­kungen, Medienarbeit, Einkäu­fen, Logistik, Tonnen von Kies, Kampfmittelberäumung, Un­fallmeldungen, Überstunden­regelungen, Buchungen, noch mehr Buchungen, Ausschrei­bungen, Suchen nach Spezi­alisten, Statikberechnungen, Planungen, Verdienstausfällen, Presseanfragen, Kaffeetassen, Stabssitzungen, gequetschten Fingern, fragenden Blicken des Partners/der Partnerin, Telefo­naten, Fahrten, Computerpro­blemen, widersprüchlichen Vor­stellungen, Gemeinsamkeiten, Nächten mit wenig Schlaf.

Mit all diesen Dingen und Auf­gaben verging die Zeit. Aus September wurde Oktober. Das Wetter wurde schlechter. Damit wurden die Fragen nach war­men Unterkünften und schließlich nach winterfesten und endgültig nach wetterunabhän­gigen Unterkünften dringlicher. Im Warteraum Feldkirchen wur­den sie in dieser Reihenfolge so angegangen, in Erding konnte man gleich bei warmen Unter­künften beginnen.

Dennoch stellte sich eine Rou­tine ein, die Arbeiten gingen gut voran. Letztlich war es wie­der eine politische Entschei­dung, die den unmittelbaren THW-Einsatz beendete: Das Bundeskanzleramt entschied, dass in der Bewältigung der Krise mehr Ressorts und diese mit anderen Zuständigkeiten als bis dahin eingebunden wur­den. Das Verteidigungsministe­rium übernahm die Aufgabe „Unterbringung". Damit wech­selte Ende Oktober/Anfang No­vember die Federführung des Einsatzes vom THW zur Bundes­wehr. Gleichzeitig wurde wegen des herannahenden Winters die Notwendigkeit immer größer, die Einheiten des THW aus dem wochenlangen Dauereinsatz herauszulösen und ihnen eine Ruhepause zu gönnen. Es war zu erwarten, dass bei einem schweren Winter die Zahl der neben dem Aufbau der War­teräume weiterhin geleisteten Einsätze für Landkreise, Städte, Kommunen, Regierungen und Freistaat deutlich zunehmen würden. Aus dieser Lageein­schätzung heraus erfolgte, in enger Abstimmung mit den Partnern, eine geordnete Über­gabe. Anfang November ver­ließen die letzen THW-Kräfte den Standort Erding, Ende No­vember den Standort Feldkir­chen. Geblieben waren Freund­schaften, das tolle Gefühl, eine schwierige Aufgabe mit dem ganzen Können und nach besten Kräften gelöst zu haben. Und Unmengen von Papier, Rechnungen, Erfahrungen und anstehenden Berichten.

Das THW Bayern hat zusam­men mit allen anderen Landes­verbänden und der Leitung im Herbst 2015 etwas Besonderes geleistet: Es hat in einer völlig unklaren Lage nicht nur beste­hende Strukturen unterstützt, sondern es hat unter hohem Zeitdruck neue Strukturen ge­schaffen, eine unklare Lage strukturiert, den zuständigen Behörden die notwendige Atempause verschafft und die von ihm geschaffenen neuen Strukturen geordnet überge­ben. Es hat das gemacht, wofür es da ist. Dieses Wissen erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit allen gegenüber, die daran mitgewirkt haben und zum Teil über ihre eigenen Grenzen gegangen sind. Es erfüllt mich mit Freude darüber, dass nie­mand ernsthaft zu Schaden ge­kommen ist. Und mit Stolz, Teil eines großen Ganzen gewesen zu sein."

Dr. Fritz-Helge Voß, THW Landesbeauftragter für Bayern.

Dieser Bericht ist dem THW Journal Bayern (Ausgabe 01/2016) entnommen.

Zu den Maßnahmen des Ortsverband Ingolstadt im Rahmen des Flüchtlingseinsatzes siehe untenstehender link.


Suche

Suchen Sie hier nach einer aktuellen Mitteilung: